Nach einwöchigem Aufenthalt in München sitze ich im Flugzeug und freue mich auf Istanbul. Die Stadt, die mir meinen Horizont öffnet und das Leben lebenswert macht.
Mein Taxifahrer Veysel holt mich ab. Was für ein Luxus!- denke ich mir und wir grüssen uns herzlich und gratulieren uns gegenseitig zum Bayram- das Zuckerfest- der wichtigste islamische Feiertag. Die Fahrt ist angenehm leicht und gelassen, nach 20 Minuten erreichen wir mein Wohnviertel Galata/Kuledibi. Erst vor 10 Tagen wurde dieses Viertel weltbekannt, leider mit einem schrecklichen Ereignis, als die Bombe an der Neve Schalom Synagoge explodierte. Davon ist nichts zu spüren. Die wenigen Menschen, die auf der Strasse stehen, gehen, unterhalten sich.
Veysel holt einen Mann, der um die Ecke die Schuhe putzt. Er hilft uns, mein Gepäck zum 5. Stock meiner Wohnung zu tragen. Es ist toll hier- denke ich. Man hilft sich hier gegenseitig, ich fühle mich nie allein und es gibt immer freundliche Unterstützung. Als wir oben ankommen, halte ich eine Packung Zigaretten bereit und Schokolade, denn heute ist das Fest der Süßigkeiten.
Wie schön, so anzukommen in meiner wunderbaren Wohnung, die mir das Weite und den offenen Horizont gibt. Jedes mal, wenn ich aus Deutschland ankomme,stehe ich vor dem großen Fenster und betrachte den Bosporus, die Schiffe, den Palast und die Hagia Sophia. Jedes mal bin ich begeistert von dieser einzigartigen Aussicht und von der schönsten Stadt der Welt. Als Architekt habe ich hier von oben gesehen, was Städtebau bedeutet, ich habe hier gespürt was es heißt ,in einer Stadt zu leben.
Die Zeremonie ist immer die gleiche, denn das Ankommen hat für mich auch mit körperlicher und geistiger Reinigung zu tun. Darum ist mein erste Weg der Gang zum Hamam, wo ich mich ebenfalls zuhause fühle, wie in meiner Wohnung über den Dächern von Istanbul.
Der Galataturm ist heute besonders mächtig und zugleich bescheiden und zurückgezogen. Der Weg zu Hamam führt über eine steile Strasse vorbei an Männerkneipen, in denen Fußball angeschaut wird und die Männer mit Tavla Spielen die Zeit verbringen.
Im Hamam begrüßt mich der Turan- mein Masseur mit einem Glas Tee .Ich bin der einzige Gast heute abend. Als ich ihm erzähle, dass ich vor 2 Stunden gelandet bin, schüttelt er den Kopf .” Du brauchst fast genau so lange aus Deutschland, wie ich täglich von meiner Wohnung zum Hamam.” Er ist einfach ein ganz liebenswerter Mensch, der seine Familie mit täglich 12 Stunden Arbeit im Hamam durchbringt.
Für mich ist dieser Ort mittlerweile ein unverzichtbarer Bestandteil meines Lebens in Istanbul geworden. Hier lasse ich los, hier liege ich auf dem heißen Stein unter der mächtigen Kuppel und höre den Tropfen zu, die vom Tauwasser von der Decke herunterfallen. Hier sind die Gedanken völlig frei ohne Grenzen und ohne Mauern. Der Dampf steigt und das Licht durchbricht die Wolken aus Wasserdampf. Durch die Elefantenaugen in der Kuppel strahlt das Sonnenlicht wie Lichtspots auf die Wände und Rundbögen. Ich sehe, wie das Licht wandert, ich lasse meine Gedanken in der Flut der Lichter und fühle die Stadt mit der Intensität meiner inneren Leidenschaft.
Turan bringt mir weiteres Glas Tee und stellt es neben das Wasserbecken. Ich gieße mir das heiße Wasser über meinen Kopf, über meinen Körper und nehme Schluck für Schluck den türkischen Tee in dem kleinen Glas zu mir. Seit 2 Jahren wäscht und massiert Turan mich. Er weiß, was mir gut tut und er weiß, wie er mich zu behandeln hat, dieses Vertrauen ist etwas besonderes .
Das Schrubben der Hautoberfläche mit den Peelinghandschuhen gehört zu den ersten Handlungen , danach reibt er mit der Seife den gesamten Körper und beginnt von Zehenspitzen zum Kopf hin zu fühlen, zu tasten und zu massieren. Währenddessen gibt es in meinem Kopf keine Gedanken, alles dreht sich um die Schönheit und Wohltat des Lebens. Dieses Fest für die Sinne ist eine einzige Bereicherung und Belohnung, die ich meinem Körper schuldig bin.
Das schönste bei diese Zeremonie ist nun nach 45 Minuten das Warten auf den frischgepressten Orangensaft, der Höhepunkt für meinen Gaumen. Die heiße Luft hat meinen Mund ausgebrannt, er lechzt geradezu danach. Es ist für mich der wichtigste Moment bei dieser Zeremonie, da ich dieses Glas mit Andacht und höchstem Bewusstsein in die Hand nehme und an den Mund führe. Ich denke dabei an das Leben und an mein Leben und mache mir bewusst, dass genau dieser Moment das Leben lebenswert macht. Wenn man sich ein Leben aufbaut, in dem solche Nebensächlichkeiten zu höchst wertvollen und wichtigen Augenblicken des Lebens werden, empfindet man Glück! Dieser Orangensaft ist das Symbol für mein zufriedenes Leben, das ich hier in Istanbul aufgebaut habe.
Ich lasse jeden Schluck über mein Gaumen gleiten und spüre den frischen Duft dieser wunderbaren Frucht in diesem Raum. Mein Geruchssinn vereint sich mit dem Geschmackssinn und mein mittlerweile so leicht gewordener Körper tanzt vor Freude in dem heißen von dem mächtigen Kuppel überdeckten Raum.
Der schmunzelnde Blick meines Masseurs widerspiegelt mein zufriedenes Gesicht in seinen Augen.
Ich bin mittlerweile über 3 Stunden hier und ein paar Gäste sind hinzugekommen . Sie sitzen auf dem heißen Stein und unterhalten sich.Die Ruhe hat durch ihre Anwesenheit nichts eingebüsst, ihre entspannte Haltung und ihre Hingabe geben diesem Raum die verdiente Achtung.
Ich mache mich auf den Weg zum Ruheraum, wo ich noch mal vom Trockner Hasan ordentlich mit einem Handtuch abgetrocknet werde und abermals Arme und Fingerspitzen durchgeschüttelt werden. Er wedelt mit dem Handtuch frische Luft zu und wickelt mich hinterher wohlig warm vom Fuß bis Kopf mit diversen Handtüchern ein.
Im Hintergrund höre ich, dass ein paar Männer das Fußballspiel zwischen Besiktas Istanbul und Lazi Rom anschauen. Sie sind so vertieft in das Spiel, dass Sie das Glas Tee, was der Turan auf dem Beistelltisch stellt, gar nicht bemerken.
Auf dem Weg nach Hause sind die Strassen leer geworden der Gemüsehändler am Turm schließt gerade sein Geschäft und ich möchte in dem winzig kleinen Lebensmittelladen Wasser für den Abend kaufen.
Ein alter Mann streckt sein Kopf zwischen den Waren und fragt mich mit freundlicher Stimme, was ich möchte. Wir kommen ins Gespräch, er sagt dass er mich hier noch nie gesehen hat. Er erzählt mir, dass er seit 1939 hier wohne und alles schon erlebt habe. Diese Gegend, sagt er zu mir, sei das vornehmste Viertel in Istanbul gewesen. Man war vornehm, zuvorkommend und freundlich zueinander und zeigt auf den Taxifahrer, der gerade zur Tür herein kommt. “Nicht solche Grobiane, wie dieser Mensch!” schmunzelt er vertrauensvoll. Der Taxifahrer wiederum macht ihm das Kompliment, dass er ein wunderbarer Mensch sei.
Ich denke mir, in welcher schönen Gegend und mit welchen freundlichen Menschen ich hier zusammen bin und gehe zufrieden nach Hause.
Ich blicke aus meine große Fensterfront zum Bosporus heraus und denke, wie schön ist es, in Istanbul anzukommen.
Erdoğan Altındiş