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Europa trifft sich in Istanbul

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Ein Erfahrungsbericht.

Im April 06 reiste ich für eine Woche nach Istanbul, um Recherchen für mein neues Buchprojekt zu machen. In Zürich fragte ich Freundinnen nach einer Unterkunft. Eine türkische Sängerin, Saadet Türköz, die in Istanbul aufgewachsen ist, gab mir die mail-Adresse von Erdogan Altindis. Ich nahm Kontakt auf und er sagte mir eine ganz neue Wohnung zu, die er gerade fertig renoviert hatte. Wir tauschten freundliche mails aus, ich war angenehm überrascht von der fürsorglichen und persönlichen Art seiner mails.

Dann kam ich nach Istanbul, wurde von einem seiner Mitarbeiter am Galataturm empfangen, das Gepäck wurde mir hinaufgetragen, die freundliche Architektin Canan kümmerte sich um mich, fragte was ich brauche und gab mir ihre Natel-Nummer. Bald darauf kam ein sms von Erdogan selbst, ob ich gut angekommen sei. Ich fühlte mich aufgehoben in dieser fremden Stadt wie noch nie bei einer Ankunft. Es entwickelte sich in den wenigen Tagen eine Stimmung von Grossfamilie. Mit Canan machte ich am Ostersonntag, gemeinsam mit Astrid, einer deutschen Denkmalschützerin einen Ausflug durch die Stadt. Im obersten Stock des Hauses lernte ich die Leiterin des Zürcher Theaterspektakels kennen, die mich bekannt machte mit einer Theaterfrau aus Brüssel, die ähnliche Themen bearbeitet wie ich. Dann lernte ich Erdogan kennen, schenkte ihm zum Abschied mein letztes Buch, wir gingen etwas zusammen trinken an meinem letzten Abend und er hörte mir aufmerksam zu, als ich von meinem Buchprojekt erzählte. Ich war glücklich über diese unerwarteten Begegnungen.

Drei Wochen später kam ich wieder und erlebte die gleiche familiäre, füreinander sorgende und aufmerksame Stimmung. Auf der Suche nach einer warmen Decke, läutete ich im obersten Stock um Mitternacht und lernte Siegrid kennen, Lektorin und Filmerin, die in München lebt. Am nächsten Tag kam Claudia dazu, eine Freundin von Siegrid und Lektorin aus München. Siegrid brachte mich mit Ahmet und Sema zusammen, die lange Zeit in Berlin gelebt hatten, so wie ich auch einmal. Sema ist Sängerin, Ahmet war lange Jahre Verleger und Kunsthändler in Deutschland, und ist jetzt Weinbauer am Marmarameer. In der Wohnung über mir traf ich Cünet, mit dem ich ein Internetproblem löste, einen türkischen Architekten, der in Stuttgart lebt. Ich traf mich mit Renata, deren Adresse ich von Maria vom letzten Mal erhalten hatte. Sie macht Theaterprojekte und bezeichnet sich als Europäerin.

Ich lief durch das Quartier am Galataturm und hatte das Gefühl, ich sei zu Hause. Im kleinen Laden am Platz holte ich täglich Brot, Tomaten und Ayran, den flüssigen Joghurt, den ich so liebe. In der Teebar um die Ecke, einem freundlichen Familienbetrieb frühstückte ich am Morgen und wurde jedesmal liebevoll begrüsst und umsorgt. Manchmal sass ich einfach nur auf einer der Bänke vor dem Turm und beobachtete die Schuhputzer, Stadtplanverkäufer, die fussballspielenden Jungs und die fünf Hunde, die faul in der Sonne lagen. Durch die Strasse der Musikläden lief ich bis zum Tünel mit Erdogan, um dort am letzten Abend, als es endlich Sommer in Istanbul geworden war, etwas zu essen. Einige Tage lang wohnte ich in der obersten Wohnung Topkapi mit ihrer wunderbaren Terrasse, die den atemberaubenden Blick auf den Bosporus und die Stadt zeigt. Ich fühle mich eingebettet und umfangen von Istanbul, von den Geräuschen der Schiffe, der Motoren, der Sirenen, dem Gehupe der Autos, den Stimmen der Muezzins fünfmal am Tag. Am Abend lag ich in der Hängematte und sah in den Sternenhimmel, der ein Spiegel der glitzernden Lichter an den Moscheen und Brücken zu sein schien. Es ist wie ein Geschenk, hier einige Tage zu verbringen. Der gegenseitige Austausch, das Geben und Nehmen von Gastgeber und Gästen, die sich unkompliziert und spontan kennenlernen, treffen, gemeinsame Interessen austauschen, die sich in der Schweiz, in Deutschland, Frankreich, Belgien per mail häufig fortsetzen können.

Europa findet in Istanbul statt.

Eva Burkhard