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Unser längster und intensivster Urlaub

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Ein Erlebnisbericht von Gabriele Kern-Altindis und Erdogan Altindis
Was macht man als Gastgeber, wenn Besucher auf einmal wegbleiben, die schönsten Räume einfach leer stehen und niemand die phantastischen Aussichten mehr geniessen kann? Genau – man zieht einfach selbst ein!

Da standen wir nun da, Mitte März, ohne Gäste, ohne gewohnten Alltag und ohne Wissen wie und wann es weitergehen wird. Zunächst hieß es für uns: Ruhe und Hoffnung bewahren! So haben wir die Situation angenommen wie sie war, was blieb uns auch anderes übrig. Krisenerprobt wie wir sind, dürfen wir, noch immer nicht, die Hoffnung aufgeben, und sind zuversichtlich, auch dieses Dilemma wieder zu überstehen.

Aber nun lag sie vor uns, die Schöne am Bosporus, und lud uns ein, sie zu betrachten und Zeit mit ihr zu verbringen. Jeden Tag hat sie uns überrascht: mit ihren Farben, von tiefblau, über türkisgrün, hellblau und manchmal auch grau. Jede Veränderung brachte mehr innere Ruhe, die die Sorgen in den Hintergrund drängten. So wird man zum Betrachter des Moments, zum Zuschauer, und manchmal sogar zum Akteur, eines emotionalen Films mit open end.

Wir stehen immer sehr früh auf und nehmen den ersten Kaffee, in unseren Sesseln mit dem Blick zum Fenster, ein. An den Tagen des totalen shut down, an denen das Wasser des Bosporus so ruhig und spiegelglatt war, konnte man die Bewegungen auf dem Wasser besonders gut beobachten. Und wir trauten unseren Augen nicht: Delphine, sie tanzten und tummelten sich im seichten Wasser vor der Galatabrücke. Auch sie genossen sichtlich die Ruhe der Stadt. Wir waren ganz aufgeregt und freuten uns wie Kinder über das Geschenk der Natur, inmitten in der 16 Mio. Metropole.
Das sollte nicht das einzige bleiben: die verschneiten Berge von Uludag waren auf einmal zum Greifen nah, als würden sie direkt hinter der Stadt empor ragen. Und als der Storchensschwarm so tief um den Galataturm seine Kreise zog, dass wir die Flügelschläge hörten und die angezogenen, roten Füßchen sehen konnten, da trieb es uns auch mal die ein oder andere Träne ins Auge.
Und dann war da diese ganz besondere Ruhe, die sich über der Stadt legte. In all diesen Momenten waren wir unseren Gästen ganz nah, denn zu gerne hätten wir diese Momente mit ihnen geteilt…….

Verpflichtungen und Verantwortung bekommen angesichts solcher Naturschauspiele eine neue Dimension, sie lassen Dich zur Ruhe kommen und zeigen, was wirklich wichtig ist im Leben. Zeit diesen Momenten und dem Leben die Wertschätzung zu geben, die sie/es verdienen.

Obwohl wir schon seit 2,5 Jahren selbst in dem Haus wohnen mit der phantastischen Aussichtsterrasse, haben wir sie viel zu selten selbst genutzt. Hier befindet sich auch unsere beliebte Wohnung Topkapi. Die mit dem „pornografischen Blick“. Diesen Ausdruck hatte unsere Freundin Stefanie Rosenkranz, die lange Jahre als Korrespondentin für den Stern in der Türkei tätig war, geprägt. Diese Wohnung mit seinem 360 Grad Blick ist der absolute Wahnsinn. Da musste erst wieder Corona daherkommen, damit wir diese Wohnung wieder selbst neu entdecken sollten.
Die Welt stand still und wir reflektierten unsere Gedanken:
Istanbulu dinliyorum gözlerim kapali…, ich höre Istanbul mit geschlossenen Augen, wohl eines der bekanntesten Gedichte von Orhan Veli, der damit eine besondere Liebeserklärung für diese wunderbare Stadt Istanbul verfasst hat.

Es gibt diese Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr, die für die meisten Menschen besonders leicht ist: keine Verpflichtungen, keine Beschäftigung, einfach mal die Dinge laufen lassen, kein schlechtes Gewissen = innere Ruhe – mit diesem Vergleich entdeckten wir auch die Vorzüge, die und die Coronazeit auch bot.
Wir sind gelassen, obwohl die Gespräche und Informationen zum Coronavirus allgegenwärtig sind und wir lauschen der Schönen am Bosporus, der Diva, die schon so vieles erlebt und überstanden hat.

Diese Zeit gibt uns die Gelegenheit die Dinge neu zu betrachten, Gedanken und Ideen Raum zu geben und so nehmen unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit und nutzen die Gegenwart, um die Zukunft zu gestalten…….